Donnerstag, 14. Februar 2013

Abschied


oder: Wie definierst Du „zu Hause“?

You think you’re lost, but that’s not true,
You simply lived a dream or two.
You travelled all this way to find
You never left your home behind.
We have to finish to begin,
We have to lose before we win.
And soon we’ll see it isn’t far
From where we were to where we are.
Home is a place in your heart,
Every journey leads you back to where you start.
Close your eyes, it’s very easy,
You’ll find that you’re already home.*

Eigentlich könnten diese Lyrics in meiner Situation ja nicht unpassender sein. Dieses Lied beschreibt Heimweh, und obwohl ich momentan viele, unterschiedlichste Dinge fühle, ist Heimweh wahrscheinlich so ziemlich das einzige Gefühl, das ich wirklich gar nicht habe. Aber irgendwie passt der Liedtext dann doch, es hängt ganz davon ab von welchem Blickwinkel aus man ihn betrachtet. Jetzt  komme ich noch einmal auf das Heimweh zurück.

Ja, meine Zeit in China ist jetzt zu Ende. Morgen steige ich ins Flugzeug und fliege zurück nach Österreich. Sieben Monate und eine Woche sind so schnell vorbeigegangen; ich kann es eigentlich noch gar nicht glauben, dass ich wirklich schon zurück muss. Einerseits habe ich das Gefühl, dass ich gerade erst angekommen bin und immer noch 7 Monate vor mir habe, andererseits ist es fast so, als wäre ich immer schon hier gewesen. Als könnte es gar nicht anders sein, als dass ich hier bin. Manchmal habe ich fast schon Angst, dass ich plötzlich in meinem Bett in Österreich aufwachen werde und überhaupt noch nicht hergekommen bin. Manchmal wünsche ich mir aber auch, dass es nur ein Traum war – dann hätte ich weiterhin 7 Monate und eine Woche in China vor mir.

Ich müsste lügen wenn ich sagen würde, dass ich froh bin die Rückreise anzutreten. Im Gegenteil. Ich weiß nicht wie es schaffen würde, wegzufahren, wenn ich nicht genau wüsste dass ich wiederkommen werde.  Diese letzte Woche hier war schwierig. Ich erinnere mich noch wie schwer es für mich war, vor 7 Monaten, von Österreich Abschied zu nehmen – das hier war um einiges schwieriger. Bedrückender. Mich von Leuten zu verabschieden, die mir über die Monate so wichtig geworden sind, ohne zu wissen, wann ich sie wiedersehen werde… es hat mir jedes Mal das Herz gebrochen. Ja, natürlich, ich werde wiederkommen, ich werde sie wiedersehen – in drei Jahren?! Fünf? Sieben?!

„Du bist doch sicher überglücklich, endlich wieder nach Hause zu fahren.“ Ich weiß nicht genau wie oft ich diesen Satz – in Variationen – über die letzten paar Wochen hinweg gehört habe, von Chinesen genauso wie von Österreichern; es war definitiv zu oft. Er hat etwas Höhnisches an sich, jedes Mal eine spöttische Erinnerung an das, was ich viel lieber verdrängt hätte. Meine Antwort war meistens: „Ehrlich gesagt, momentan will ich beim Gedanken an Österreich am liebsten anfangen zu weinen.“ Und es stimmt – ich war in den letzten paar Wochen ziemlich emotional und habe momentan ziemlich nahe am Wasser gebaut. Ich wäre immer wieder fast in Traurigkeit versunken und hatte „Wake meupwhen September ends“ auf Endlosschleife auf meinem iPod. Ich musste mich immer wieder daran erinnern, dass es niemandem, mich selbst mit eingeschlossen, hilft, wenn ich meine letzten Wochen in China schmollend, unglücklich und Trübsal blasend verbringe, weil das meine Rückreise nach Österreich weder einfacher noch ungeschehen macht. Ich habe mich dazu gezwungen, das Beste aus der Zeit zu machen, die mir noch bleibt und sie zu genießen.

Ich liebe Österreich und meine Freunde und Familie dort immer noch genauso sehr wie bevor ich hierhergekommen bin. Was ist es also, was den Abschied hier so schmerzhaft macht?
Ich habe in China viel gelernt; Vieles über die Chinesische Kultur, viel Chinesisch, viel über mich selbst und einige neue Charaktereigenschaften und Weltansichten. Und ich habe in China Vieles zu verstehen gelernt, was ich vorher nicht verstanden habe oder von dem ich vorher gar nicht gewusst habe, dass es etwas zu verstehen gibt.

Ich glaube, erst in China habe ich wirklich verstanden, was es heißt, ein Land als „mein Zuhause“ zu bezeichnen. Es heißt, dass man das Land mag, liebt, obwohl man ganz genau weiß, dass es seine Fehler hat und obwohl man mit diesen Fehlern kritisch umgeht. Es heißt, dass man es vielleicht gerade wegen seiner Fehler liebt. Es heißt, dass einen mit diesem Land so viele schöne und weniger schöne Erinnerungen, so viele Menschen, so viele Plätze und Fotos, so viele Gegenstände verbinden. Es heißt, dass man sein Herz an dieses Land verschenkt hat. Österreich war für mich immer schon Heimat, und das wird es auch immer bleiben, aber es ist nicht mehr meine einzige Heimat. Das ist eines der Dinge, die mich an dem Satz „Du bist doch sicher überglücklich, endlich wieder nach Hause zu fahren.“ stören. Es stimmt nicht. Ich fahre nicht nach Hause. Das heißt, doch, natürlich fahre ich nach Hause. Aber ich bin auch schon zu Hause. Ich fühle mich zu Hause. Ich bin hier, in Zhengzhou, bei Mama und Papa – Gaoli und Zhang Xuhui – genauso sehr zu Hause wie in Graz, bei Mama und Papa – Peter und Sabine. Ich habe eine zweite Familie, die ich wahnsinnig liebe.

Ja, China hat seine Fehler. Das habe ich schon in meinem Erfahrungsbericht** geschrieben. Wie kann ich ein Land so sehr lieben, das so viele Fehler hat? Aber hat Österreich nicht auch seine Fehler, über die ich mich stundenlang aufregen könnte. Wenn ich hier alles toll fände wäre ich eine – noch dazu ziemlich unaufmerksame – Touristin.

Und das ist, weshalb ich kein Heimweh habe. Weshalb mir der Abschied so schwer fällt. Hier wegzufahren tut weh. Ich schreibe diesen Blogpost und weine. Ich zitiere jetzt Johns Abschiedsbrief. John ist ein Australier, den ich hier kennengelernt habe und der schon vor einem Monat zurück nach Australien fahren musste. Erbringtes auf den Punkt:

„I can’t believe I’m leaving, it feels like I’m leaving a part of my heart here; I’ll really, really miss it.“

Ich kann ihn so gut verstehen; genauso fühle ich mich momentan. It feels like I’m leaving a part of my heart here.Es ist, als würde ich einen Teil meines Herzens hierlassen. Ja. Ich liebe Österreich. Ich weiß, dass es einen Teil in meinem Herzen gibt, der sich auf Österreich freut, auf meine Familie und Freunde dort, auch, wenn ich mich momentan nur rational weiß und nicht so fühle. Ich werde es fühlen, wenn ich erst wieder dort bin.
Ich liebe China. Das ist eine Tatsache, die momentan in all meinen Gedanken ist, und die mir durch den Abschiedsschmerz tagtäglich, jede Stunde wieder bewiesen wird. Es wird immer einen Platz für China in meinem Herzen geben. Und ein Teil meines Herzens wird für immer hierbleiben.
Home is a place in yourheart. Ich glaube wirklich, dass das stimmt.

An alle, die das hier gelesen haben; ich entschuldige mich hiermit für diesen sehr melancholischen, sentimentalen, emotionalen und kitschigen letzten Blogeintrag, der sich nicht einmal um Chinesische Neujahrsfest dreht, wie ich eigentlich geplant hatte. Ich hoffe ihr könnt es verstehen, angesichts der Tatsache, dass ich morgen China verlasse. Momentan bin ich einfach nicht in der Stimmung für Feste. Vielleicht trage ich das Neujahrsfest von Österreich aus nach. Ich weiß noch nicht. Für momentan noch einmal:
Danke, an die ganze Welt, für einen sieben Monate lang gelebten Traum. Danke an alle, die meinen Blog gelesen haben. Ich liebe euch alle, Chinesen und Chinesinnen, Österreicher und Österreicherinnen, Menschen der ganzen Welt. Und
再见. Zaijian. Ich verabschiede mich.

*Fußnote: Das Lied heißt „Already Home“ und ist aus Andrew Lloyd Webber’s New Production oft he Wizard of Oz, ein Musical (die überarbeitete Version des Wizard of Oz), das Anfang 2011 in London Premiere hatte und das ich im Sommer 2011 dort gesehen habe. Das Copyright gehört Lord Andrew Lloyd Webber und Harold Arlen für die Musik und Tim Rice für die Lyrics.
**Fußnote 2: Wen es interessiert – ich habe vor 3 Monaten für meine Organisation einen Erfahrungsbericht geschrieben, der auch veröffentlicht wurde. Momentan (14.02.2013) ist es der zweite Artikel auf der Seite. Hier ist der Link: http://www.experiment-ev.de/community/erfahrungsberichte/1

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen